Religiöse Gemeinschaften und Klimawandel

Religionsgemeinschaften können einen entscheidenden Unterschied im Kampf gegen den Klimawandel ausmachen

7. Dezember 2021 | Esra Özyürek, Tobias Müller | #Strategie

Alle großen Religionen rufen dazu auf, die Erde zu respektieren. Takver/Wikimedia
Alle großen Religionen rufen dazu auf, die Erde zu respektieren. Takver/Wikimedia

Die Bedrohung durch den Klimawandel bedeutet “Alarmstufe Rot” für die Menschheit, und uns läuft die Zeit davon, um vom Kohlenstoff wegzukommen und eine katastrophale Erwärmung des Planeten zu verhindern. Unsere beste Chance besteht darin, bestehende Organisationen mit finanzieller, politischer und sozialer Macht davon zu überzeugen, den Weg für drastische Veränderungen zu ebnen. Glaubensgemeinschaften - denen weltweit 4 Milliarden Menschen angehören und die allein in den USA einen wirtschaftlichen Wert von über 1,2 Billionen US-Dollar haben - könnten die Kraft sein, die wir brauchen.

Als US-Präsident John Biden am 29. Oktober mit Papst Franziskus zusammentraf, stand der Klimawandel im Mittelpunkt des Gesprächs. Später an diesem Tag meldete sich der Papst in der Sendung “Thought for the Day” von BBC Radio 4 zu Wort und forderte von den Staats- und Regierungschef:innen der Welt “radikale Entscheidungen” zum Thema Klima. Er warnte davor, dass die miteinander verknüpften Krisen der Pandemie und des Klimawandels “einen perfekten Sturm” geschaffen haben, der die menschliche Zivilisation zu zerstören droht.

Vor der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow trafen sich auch 40 religiöse Führer:innen im Vatikan, um ein beispielloses Plädoyer zur Bewältigung der Klimakrise zu formulieren.

Wenn eine Nation untergeht, gehen wir alle unter”, sagte Rajwant Singh, ein führender Sikh aus Washington DC. Und der Großimam Scheich Ahmed Al-Tayeb von der ägyptischen Al-Azhar-Moschee in Kairo, einer Institution, die normalerweise nicht für ihre progressive Politik bekannt ist, rief junge Muslim:innen dazu auf, “bereit zu sein, gegen jede Maßnahme zu kämpfen, die die Umwelt schädigt”.

Viele Religionsführer:innen haben eindeutig erkannt, dass Klimaschutz zu einer heiligen Pflicht geworden ist. Die sprunghaft ansteigende Zahl von Büchern über Umwelttheologie zeigt, dass das Engagement für den Klimaschutz im Mainstream der meisten Religionen angekommen ist. Die von uns durchgeführten Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Gruppen durch den Einsatz ihres massiven Einflusses der Welt helfen können, bedeutende Schritte zur Abwendung einer Klimakatastrophe zu unternehmen.

Aktiv werden

Bei den jüngsten Klimaprotesten haben sich Priester:innen, Rabbiner:innen und Imam:innen interreligiösen Gruppen innerhalb radikaler Klimabewegungen wie der Extinction Rebellion (XR) angeschlossen. Sie blockieren Straßen und werden in voller religiöser Kleidung verhaftet, wobei sie sich auf die Tradition des religiösen zivilen Ungehorsams berufen, die von Persönlichkeiten wie Martin Luther King begründet wurde und der während seiner Führung der US-Bürgerrechtsbewegung 29 Mal verhaftet wurde.

Multireligiöse Gruppen sind in der Klimabewegung im kommen. Takver/Flickr
Multireligiöse Gruppen sind in der Klimabewegung im kommen. Takver/Flickr

Vor allem junge gläubige Menschen sind unzufrieden mit der Untätigkeit der politischen Entscheidungsträger:innen. Junge christliche Klimaaktivisten unternahmen eine 2.000 Kilometer lange Pilgerreise von Cornwall zur COP26 nach Glasgow. Auf ihrem Weg forderten sie die Kirchen auf, ihre Klimaschutzmaßnahmen zu verstärken. Ein Mitglied von XR-Pilgrims, einer multireligiösen Gruppe, erklärte, dass “wir eine spirituelle Fürsorgepflicht gegenüber denen haben, die weniger Glück haben als wir”.

Eine der prominentesten jungen Klimaaktivistinnen, die 24-jährige Vanessa Nakate, bezeichnet sich selbst als “wiedergeborene Christin und Klimaaktivistin” – in dieser Reihenfolge. Sie beschreibt ihren Aktivismus als geprägt von ihrem Glauben, insbesondere vom biblischen Gebot, sich um die Erde zu kümmern. Im Zuge der COP26 forderte sie von den Staats- und Regierungschef:innen die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Zerstörungen, die die Klimakrise bereits in ganz Afrika anrichtet.

Die Lücke schließen

Der Aktivismus an der Basis trägt bereits Früchte. Am 26. Oktober kündigten Vertreter:innen von mehreren Tausend Glaubensgemeinschaften aus der ganzen Welt an, dass sie 4,2 Milliarden US-Dollar aus ihren Investitionen in fossile Energie abziehen würden – das größte jemals von Glaubensgemeinschaften initiierte Divestment.

Als Tobias recherchierte, wie sich gläubige Menschen im Jahr 2020 für den Klimaschutz engagieren, wurde er Zeuge davon, wie muslimische und nicht-muslimische Mitglieder von XR aus Kenia, Gambia und dem Vereinigten Königreich eine ungewöhnliche Allianz bildeten, um die Entwicklung eines äußerst umweltschädlichen Luxustourismusresorts im Nairobi-Nationalpark zu stoppen.

Nun müssen mehr Glaubensgemeinschaften diesen Beispielen folgen und ehrgeizige Pläne zur Bekämpfung der Klimakrise entwickeln. Dies könnte damit beginnen, Gotteshäuser zu Modellen der Nachhaltigkeit zu machen.

Ein Beispiel dafür ist die Zentralmoschee in Cambridge, die für sich in Anspruch nimmt, die erste vollständig umweltfreundliche Moschee Europas zu sein. Sie hat dank ihrer Wärmepumpen, LED-Beleuchtung und Regenwasser-Toilettenspülungen einen CO2-Fußabdruck von nahezu Null. Ein weiteres Beispiel ist die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau in Deutschland, die alle verfügbaren Dachflächen ihrer mehr als 2.000 Kirchengebäude mit Photovoltaik bedecken will, um ihren eigenen Strom zu erzeugen.

Wir glauben, dass Wissenschaftler:innen eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung dieses Übergangs spielen könnten. Wie Tobias kürzlich in einem Aufsatz für Nature schrieb, können wir durch die Etablierung eines Dialogs zwischen Wissenschaftler:innen und Glaubensgemeinschaften dazu beitragen, selbst die konservativsten Köpfe von der Realität der Klimakrise zu überzeugen.

Die Zukunft

Doch diese Schritte allein reichen nicht aus. Wie der Papst gegenüber BBC-Hörern andeutete, müssen religiöse Gruppen anerkennen, dass unsere profitorientierte Wirtschaft unseren Planeten unbewohnbar macht.

Glaubensgemeinschaften auf der ganzen Welt bilden zusammen eine Wirtschaftskraft, die größer ist als die meisten Volkswirtschaften. Indem sie die Wahrheit über den Zustand des Planeten sagen und kompromisslos finanziellen, sozialen und politischen Druck auf Regierungen und Unternehmen ausüben, können sie das Gleichgewicht dahingehend verschieben, dass die Zerstörung all dessen, was uns auf der Erde heilig ist, abgewendet wird. Diese Gemeinschaften haben die Ressourcen und die Widerstandskraft, aber vor allem die moralische Verantwortung, dies zu tun.

Angesichts der vielen Male, die sie versäumt haben, für Gerechtigkeit und Menschenwürde einzutreten, könnten die Religionen ihren Platz an der Spitze eines Kampfes zurückgewinnen, der die Zukunft der Menschheit bestimmen wird. Um einen berühmten Slogan neu zu formulieren:

Es gibt keine Religionen auf einem toten Planeten.


Dieser Artikel ist eine eigene Übersetzung von Religious communities can make the difference in winning the fight against climate change aus The Conversation. Mit freundlicher Genehmigung der Autor:innen Tobias Müller, Lecturer in Politics and International Studies, University of Cambridge und Esra Özyürek, Professor of Abrahamic Faiths and Shared Values, University of Cambridge.
Der Original-Artikel und diese Übersetzung sind unter der CC-BY-ND-Lizenz veröffentlicht.
Bildrechte:  Takver/Wikimedia (Titelbild), Takver/Flickr (Multifaith groups)

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